Bordairline Gstaad 2013 - Stefan Hofer
Tag 0:
Meinen Supporter Simu hole ich am Bahnhof Thun ab. Beim fröhlichen Geplauder schwindet meine Nervosität temporär, wird aber beim Briefing im Hotel Alphorn wieder spürbar. Im Hotel Geltenhorn in Lauenen kann ich kaum schlafen, weil ich sämtliche Routen und Aufwinde nochmals durchgehe...
Tag1:
Um halb Sechs machen wir uns auf den Weg zum Morgenbuffet und anschliessend zum Startgelände mitten im Dorf. Pelzmäntel sind in der mondänen Gemeinde zurzeit keine auszumachen!
Startvorhaben werden verglichen. Paul Guschlbauer trifft mit Chrigel eine Minute vor acht überraschenderweise ein, um den Wettbewerb am Tandem zu bestreiten. Um acht geht's los. Kurioserweise drehen sämtliche Athleten nach der Startlinie um, weil sich die Wispile und das Lauenenhorn auf der Südseite befinden.
Gemütlich machen wir uns in einer Fünfergruppe auf den Weg. Eile ist noch nicht angesagt, da wir die einsetzende Thermik frühestens um elf erwarten.
Simu gesellt sich bei der Mittelstation zu uns und serviert mir auf dem Gipfel meine vorgekochten Nudeln. Wer weiss, wann es die nächste Mahlzeit gibt?
Erste Schirme drehen auf, aber die zum Queren erforderliche Basishöhe wird noch nicht erreicht. Ich werde bereits ungeduldig und mache mich startklar.
Alex trifft auch noch ein, bewaffnet mit Lightness, Zelt und Biwakutensilien. Er macht „Bordairline light" ausser Konkurrenz.
Vor elf Uhr starte ich. Mein Plan: ich peile die höhere Basis im Süden an, um mich dann mit dem prognostizierten Südwind zum Lauenenhorn blasen zu lassen. Ist diese Hürde geschafft, ist das Hahnenmoos als nächstes dran.
Nach 10 Minuten bin ich auf 2600m und setze zur Querung an. Am Lauenenhorn sehe ich die Konkurrenz starten. Aber wo ist der Südwind? Der bläst aus der falschen Richtung! Nach 22 Minuten lande ich 50m zu tief am Fusse des Lauenenhorns ein, packe schleunigst und renne Richtung nächste Startmöglichkeit. Die 5 Liter Wasserballast schleppe ich mit, die werde ich wahrscheinlich noch brauchen.
Hier gibt es keinen Wanderweg, dafür hüfthohes Gras mit Disteln gespickt. Der Nordwestwind bläst über die Krete. Nun muss ich absteigen, um im Lee aufdrehen zu können. Der ganze Spass kostet mich eineinhalb Stunden. Da fliegen Bendicht und Alex über meinen Kopf, aber noch ist nichts verloren...
Zweiter Start. Zügig an die Basis auf 2900m, Querung zum Albristhorn. Unterwegs gibt mir Simu die Positionen der Konkurrenz durch: Stef Miesch ist bereits in Aeschi, Bendicht beim Niesen, Chrigel Maurer mit Guschlbauer beim Mäggisserhorn. Ohne eine Drehung fliege ich zuerst im Lee (gemässigte Akroeinlage beim Otterenpass) und anschliessend über der Krete. Beim Fromberghorn sehe ich, dass sich am Niesen 500m unter mir Wolken bilden. Somit kann ich dort nicht mit weiterem Höhengewinn rechnen und setze bereits zur Seequerung an. Dieses Vorhaben gebe ich Simu telefonisch durch. Kurz darauf bläst mir ein 15er Nordost entgegen. Mit 2400m Abflughöhe ist mir dies zu riskant. 20m neben dem Luftraum Reichenbach fliege ich nun Richtung Morgenberghorn, was normalerweise um diese Zeit infolge Schatten sinnlos ist. Aber siehe da, ich entdecke einen Schirm, der am Därliggrat kratzt und sogar noch Höhe gewinnt. Die Höhe, welche ich erreiche, reicht nicht ganz, um den Flugraum Gsteigwiler Richtung Schynige Platte zu passieren. Also fliege ich den Harder an. Am Suggiture steht eine mächtige Wolke und verspricht knackige Bedingungen. Während einer halben Stunde versuche ich die versetzten und ruppigen Schläuche in Hangnähe zu zentrieren. Zweimal werde ich auf beiden Seiten ins Lee geblasen, einmal von Süd, einmal von Nord. Für mich ist das zu riskant. Auf 1800m setze ich zur Schynige Platte über und erreiche diese 200m über dem verbotenen Luftraum. Nun bin ich ganz alleine kurz vor 15 Uhr und geniesse die traumhaften Bedingungen. Seidenfein, nur schwaches Steigen, kaum Wind. Vom Sägistalsee an fliege ich nur noch geradeaus. Über den Giessbachfällen muss ich mich entscheiden: der Talsprung ist so gross, dass ein Zurückfliegen kaum möglich ist und somit einen um 40km längeren Fussmarsch bedeutet. Im Alter wird man vernünftig, ich drehe ab und fliege ohne eine Kurve zurück zur Schynige Platte. Neues Ziel: Spiez. Das sollte bei diesem Sonnenstand kein Problem sein. Aber weit gefehlt, am Därliggrat geht gar nichts. Ich lande vor einer Baumgruppe, welche mir den Weg nach Leissigen versperrt und gehe zu Fuss die 200hm hinunter. Es ist nicht einfach, Simu zu finden! Langsam verspüre ich Hunger. Bei der Rastplatzsuche begegne ich drei Hochzeitsgesellschaften. Eine will mich sogar bis an den See mitnehmen- das „Nein, danke" muss ich natürlich begründen.
In einer schattigen Einstellhalle esse ich die vorgekochten Teigwaren und schmiede mit Simu die weiteren Pläne. Ziel: Adelboden, 35 km via Aeschi. Die Windprognosen für den kommenden Tag versprechen nichts Gutes, so dass ein Start vom Niesen, von der Mäggisseren oder gar Tschenten wahrscheinlich nicht erfolgreich verlaufen würde. Später stellt sich heraus, dass zwei Teilnehmer das Risiko eingegangen sind, jedoch das Ziel nicht mehr rechtzeitig erreicht haben.
Voller Tatendrang pushe ich mit einem 8er-Schnitt der tiefen Sonne entgegen. Simu fährt zeitweise im Schritttempo hinterher, fotografiert oder filmt. Ich liebe das Hiken mit dem Schirm!
Ab Mülenen ist die Sonne verschwunden, die Trottoirs werden seltener. Simu erwartet mich erst um halb Zehn in Frutigen. Ohne Lampe und Leuchtweste ist dies im Wochenendverkehr ziemlich gewagt, so nehme ich Nebenstrassen in Angriff. In Reichenbach hole ich Rupert Stadler ein, gemeinsam schreiten wir gutgelaunt der „Wechselzone" entgegen.
In Frutigen gibt es Suppe, Nudeln und Schoggi. Zum drittenmal wechsle ich die Schuhe, damit mich der Hallux am grossen Zeh in Ruhe lässt. Blasen oder Schmerzen habe ich noch keine.
Der zunehmende Mond beleuchtet die Landschaft. Nur wegen den Nachtschwärmern und ihren getunten Untersätzen ziehe ich mir die Warnweste und die Stirnlampe über und nehme die letzten zweieinhalb Stunden des langen Tages in Angriff. Ankunft Adelboden: 0.45 Uhr.
Simu hat mir eine improvisierte Dusche vorbereitet, das Zelt aufgestellt und füttert mich nochmals.
Während der fünf Stunden Ruhe im Zelt schlafe ich kaum, ich bin viel zu aufgedreht und neugierig auf das was kommt.
Tag 2:
Auf zum Hahnenmoos! Simu kommt mit der Bahn nach, nachdem er das Zeltlager abgebaut hat. Zum Starten eignet sich beim stärker werdenden Westwind der Laveygrat. Da ich die Umgebung mehr vom Winter her kenne, laufe ich plötzlich Richtung Metsch, versuche aber nach einigen Telefonaten mit Simu eine Abkürzung à la direttissima zu nehmen. Die sanft mit Steinen gespickte Flanke erweist sich aus der Nähe bald als felsige Kletterei. An Grasbüscheln hieve ich mich hoch, rutsche dauernd aus und merke, dass ich nicht mehr in der Lage bin umzukehren. Nun beginnt der anstrengendste Teil dieses Unternehmens. 150 hm Klettern ungesichert. Simu, der mich dauernd beobachtet, gibt mir sonderbare Tipps, wie ich zu ihm gelangen kann. Auf dem Laveygrat völlig ermattet angekommen sind wir uns einig: das war nicht ich, den Simu gelotst hat!
Martin Zettler macht sich am gleichen Ort startbereit. Simu legt mir geschälte Grapefruit und Bananen bereit und legt meinen Schirm aus- was für ein Service! Der Wind bläst bereits satt, auf 3000m Höhe melden sie einen Dreissiger Süd (Föhntendenz). Nach meinem Start will Simu noch etwas von den Früchten essen- zu spät! Alles in meinem Magen. Etwas gefrustet wirft er die Schalen über die Krete, aber boomerangmässig kehren diese zum Werfenden zurück. Heimfliegen nach Gstaad kann ich abhaken, dafür peile ich mögliche Landeplätze auf der gegenüberliegenden Seite an. Martin landet ausgerechnet in der kleinsten Waldlichtung im Trittligtal, die liegt aber etwa 200hm über der nächsten Landemöglichkeit. So knöpfe ich mir die Punktlandung im Steilhang auch vor...gut gegangen.
Nun bleiben mir fünfeinhalb Stunden bis Zielschluss. Ich weiss: wenn ich frühzeitig Richtung Lauenen starte, kann ich vielleicht noch einen Belohnungsflug ins Zielgelände machen. Auf dem Pass fliegt mir jedoch Staub entgegen, da bleibt nur der Marsch auf den Wasserngrat in der Hoffnung, dort weniger Wind anzutreffen. Seit der letzten Landung sind bereits wieder drei Stunden verstrichen, die Höhenmeter (am Schluss sind es um die 5000) werden mehr. Meine Abkürzungsstrategie im Steilhang geht einmal mehr nicht auf, dafür ziehe ich ein Distelblatt von meiner Wade.
Ich rechne mit einem Abstieg von zwei Stunden, da taucht plötzlich Martin mit seinem „Nevada light" am Himmel auf. Sieht einigermassen fliegbar aus! Nur: wo kann man hier starten? Zwei Wanderer erklären mir den Weg und tatsächlich, ich kann fliegen. Alex beobachtet mich von Lauenen aus mit dem Feldstecher. Ziemlich turbulent, vor allem die Landung bei diesem Talwind. Sebastian Huber, der spätere Zweitklassierte, landet gerade vor mir und entknittert wenige Meter über Boden nochmals seinen Schirm.
Alex und Simu stehen mit den Kameras bereit. Bei der Landung rutscht mir ein Juchzer heraus! Im Zielgelände tauschen wir unsere Erlebnisse aus, während Bendicht mit einem 12er-Schnitt zu Fuss versucht, die Zeitlimite einzuhalten. Nur um einige Minuten gelingt ihm dies leider nicht und verliert dadurch mindestens zwei Ränge.
Spannend wird die Auswertung: sind die Wallisflüge ergiebiger als die „bescheidenen" Brienzerseerouten? Ich bin schon ein bisschen stolz auf meine Leistung. Taktisch und fliegerisch im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten geschickt gemacht, 100km geflogen, nach GPS 62km und 5000hm gehikt-
Rang fünf!
Mein grösster Dank geht an meinen Supporter Simu, der selber ein erfahrener Pilot ist und mich bestmöglich unterstützt hat sowie an meine Familie, die mir mit ihrer Toleranz meinem geliebten Hobby gegenüber dieses Erlebnis ermöglicht hat. Schliesslich bin ich unglaublich glücklich, wie alle anderen verletzungs- und blasenfrei ins Ziel gekommen zu sein. Bis im nächsten Jahr...